Interview mit Claudia Jahn

Schauspielerin, Sprecherin, Dozentin und Coach für Sicheres Auftreten

Aktueller Podcast: The empathy podcast von Kevin Luna.

Musik-Richtung: Mein Musikgeschmack ist so bunt gemischt, dass er sich schwer festlegen lassen will. Hier eine ungefähre Absteckung meiner Musik-Geschmacks-Landkarte:
Von Bach über Käptn Peng zu Nena und Udo Lindenberg zu Mozart und Beethoven, dann mache ich eine Kurve zu dem großartigen Reinhard Mey und nehme dabei natürlich auch meinen Herman van Veen mit und natürlich über Purcell und Vivaldi zu Herbert Grönemeyer und meinem Lieblingssong von Ylvis „What does the fox say“ und dann lande ich sehr gerne am Schluss bei DECPACITO von Luis Fonsi.

Inspirierendes Buch: Im Moment sind es 2: „Werde übernatürlich“ von Dr. Joe Dispenza und „Briefe an einen jungen Dichter“ von Rainer Maria Rilke - sie sagen beide das Selbe nur mit anderen Worten- so wie alles, was auf eine tiefe Wahrheit hindeutet, von vielen Menschen aus unterschiedlichsten Zeiten mit unterschiedlichsten Begriffen gesagt wurde, aber sie meinen alle dasselbe.

Lieblingsserie: Pumuckl - aber nur die Originalfassung mit Gustl Bayerhammer und der Stimme von Hans Clarin. Die schaue ich mir immer noch regelmäßig an, wenn ich einen Gute-Laune-Schub brauche.

Kindheitstraum: Schauspielerin werden. Und den habe ich (ich kann es manchmal immer noch nicht glauben!) Wirklichkeit werden lassen.

Was hat Deine Arbeit mit Dir als Person zu tun?

Ich wurde jahrzehntelang gefragt, warum ich Schauspielerin geworden bin; seit wann ich wusste, dass ich das werden möchte und woher dieser Wunsch kam. Und ich habe immer geantwortet:“ Keine Ahnung! Ich wollte es einfach immer schon und zwar mehr als irgendetwas anderes.“

Jetzt, nach 30 intensiven Berufsjahren, bin ich der Beantwortung dieser Frage zumindest etwas nähergekommen: Im Kern wollte ich den Menschen, die da im Zuschauerraum oder vor dem Fernseher saßen, die gerade Radio oder ein Hörbuch hörten, eine Botschaft geben. Diese Botschaft sitzt so tief in meinem Herzen, dass es mir sehr schwerfällt, diese in Worte zu fassen - aber sie lautet so ungefähr: „Habt keine Angst! Die Welt und das Leben sind nicht so gefährlich und bedrohlich, wie sie oft erscheinen! Uns geht es allen gleich und keiner ist allein...“ So ungefähr, aber das nicht mit Worten, sondern über das, was von mir unsichtbar zu ihnen gelangen sollte. Das war und ist meine größte Sehnsucht. Denn natürlich komme und kam ich der Erfüllung dieses Wunsches nur in ganz seltenen Sternstunden zumindest näher. Aber wenn es geschieht, dann weiß ich es sofort und ich kann mir kein größeres Glück vorstellen.

Seitdem ich als Coach arbeite, sind diese Sternstunden häufiger, weil ich die Menschen auf ganz unterschiedliche Weise mit dem, was ich als Schauspielerin und als Mensch gelernt habe, viel unmittelbarer und direkter erreichen kann, als wenn ich dies über meine diversen Rollen tue.

Als Schauspielerin stehst Du manchmal auf der Bühne und andere Male vor der Kamera. Aus welcher konkreten Erfahrung in dem einen oder anderen Kontext hast Du besonders viel gelernt?

Es gibt einen Schlüsselmoment, der sich während meiner 2. Theaterpremiere, als ganz junge Schauspiel-Anfängerin, 1993 am Staatstheater Nürnberg ereignete:

Ich spielte in dem Lustspiel von Heinrich von Kleist, im «zerbrochnen Krug» die Hauptrolle, nämlich Eve. Das ist das junge Mädchen, um das es in diesem Stück zentral geht. Ich möchte die Leser jetzt nicht mit Inhaltsangaben langweilen, aber dieses Stück ist ein echtes Lustspiel, also richtig komisch und wenn da alles gut läuft, dann grölen die Leute vor Lachen. Heinrich von Kleist hat aber, in der Urfassung, diesem Lustspiel, diesem Schwank, einen 40 Minuten dauernden Monolog eben jener Eve - ganz am Ende des Stückes - gegeben und angefügt. Und unser Regisseur wollte eben diese Fassung auf die Bühne bringen. In den 8 Wochen Proben setzt man sich als Schauspieler intensiv mit seiner Rolle, dem Stück und auch mit Sekundärliteratur dazu auseinander. Die Letztere enthielt - was meine Rolle und insbesondere diesen elendslangen Monolog betraf - immer wieder die Ermahnung, dass genau dieser Monolog DER Prüfstein für eine Schauspielerin sei, der darüber entscheidet, ob sie etwas kann oder nicht.

Die Proben verliefen reibungslos - dann kam die Premiere. Ich dachte an nichts anderes als: «JETZT werde ICH geprüft, JETZT wird es sich zeigen, ob ich zu Recht auf dieser Bühne stehe oder nicht»

Der Teil mit dem Lustspiel lief glänzend, die Leute schrien und brüllten vor Lachen - dann kam der Moment, an dem ich ganz allein auf dieser riesigen Bühne vor 900 Menschen, inkl. Presseleuten mit gezückten Stiften, stand und der Monster-Monolog begann. Erst Stille, dann hörte ich immer mehr Hüsteln, dann erschien mir dieses Hüsteln als immer stärker werdender Husten von Einzelnen. Und mein einziger Gedanke und meine ganze Energie und Aufmerksamkeit ging nur noch zu diesen Hüstlern. Und ich dachte: «DAS ist der Beweis. Ich bin nicht gut genug. Durchgefallen». Das hatte zur Folge, dass ich immer leiser wurde und ernsthaft überlegte (während der Premiere!!) mitten im Stück einfach die Bühne zu verlassen. So weit kam es dann nicht, aber ich habe während der laufenden Vorstellung (cora Publikum!) komplett aufgegeben.

Am nächsten Morgen fuhr ich wie immer nach Premieren noch vor dem Frühstück zur Tankstelle, denn da gab es auch am Sonntag die druckfrischen Zeitungen. Und was ich da, in diesen Kritiken, über mich lesen musste, dass war das Vernichtendste, was ich jemals in meinem Leben über mich zu hören - oder eben zu lesen bekam. Meine Mutlosigkeit war natürlich für alle sichtbar geworden und die Zeitungen stürzten sich darauf, jeweils mit großen Fotos von mir (und NUR von mir) versehen.

Ich musste diese Vorstellung aber am selben Abend zum 2. Mal und anschliessend noch 120 Mal spielen! Und JEDER, der diese Vorstellung besuchte, las vorher im Foyer die Kritiken. Es war grauenhaft.

ABER: (und jetzt komme ich endlich zum Eigentlichen), ich habe es geschafft, mich von Vorstellung zu Vorstellung von dieser Angst immer mehr zu befreien, bis die Leute irgendwann, wenn ich am Schluss zum Applaus auf die Bühne kam, «BRAVO» gebrüllt haben. Dieses - eigentlich sehr schwere, traumatisierende und schreckliche Erlebnis - hat mich gelehrt, dass es nur darauf ankommt, Grenzen zu verschieben. Und dass wir keinen anderen Feind haben als unsere eigene Angst. Und sobald wir die überwinden, ist alles möglich.

Immer mehr Menschen sitzen oder stehen inzwischen oft täglich in Online-Konferenzen vor der Kamera. Was ist der wichtigste Rat, den Du Menschen hierzu mitgeben kannst?

  1. Bereite dich gut vor, mach dir ganz klar WAS du sagen möchtest, was ist deine Kernbotschaft, worum geht es dir wirklich und schreib das auf!
  2. Erarbeite dir ein Konzept und schreib es auf einen Zettel, den du neben dem PC liegen hast. Das ist wichtig, weil du erst dann frei bist vor der Kamera und nicht ins Schleudern kommst. Sobald du anfängst nachzudenken, wie du weitermachen sollst, verlierst du den Kontakt zu deinem Gegenüber und verlierst somit an Charisma und Ausstrahlung und Überzeugungskraft.
  3. Sprich - auch wenn da auf der anderen Seite 50 Leute oder mehr sitzen - geistig NIE zu allen, sondern immer nur zu EINEM/EINER. Und DIE oder DER Eine, den solltest du dir vorher überlegen. Das sollte ein Mensch sein, den du magst/liebst. DEN visualisiere, wenn du in die Kamera sprichst. Wenn du das beherzigst, dann werden - weil du zu EINEM/EINER sprichst - sich alle 50 auf der anderen Seite persönlich angesprochen fühlen. Das sage ich auch immer den Politikern, mit denen ich arbeite - auf diese Weise gewinnen sie Überzeugungskraft und werden magisch.

Wie haben die letzten Monate Dein Leben verändert? Was hat Dir dabei geholfen mit den Veränderungen umzugehen?

Ich muss jetzt - wenn ich ehrlich sein will (und das will ich!) sagen, dass ich mich über vieles, was die Corona-Krise so mit sich brachte und bringt (neben all dem Dramatischen, für viele Menschen Existenzzerstörenden und Schrecklichen) auch „gefreut“ habe. Ich habe beobachten können, dass Menschen aus ihrem täglichen Trott herausgerissen wurden. Dass sie vieles hinterfragen und neu definieren mussten, was bis zu diesem Zeitpunkt selbstverständlich erschien. Viele Menschen, mit denen ich in dieser Zeit gearbeitet habe und Kontakt hatte, haben plötzlich ganz neue Gedanken denken können und auch ganz neue Gefühle in sich wahrgenommen. Und das macht mich richtig glücklich und gibt mir auch Hoffnung, dass es vielleicht doch noch möglich ist, gemeinsam in eine menschlichere Welt hineinzuwachsen, in der man respektvoller als in der Vergangenheit mit seinen Mitgeschöpfen - seien es nun Menschen, Tiere oder Pflanzen - umgeht. Weil: seien wir doch mal ehrlich: die Welt braucht einen radikalen Wandel, ein neues Mit-statt Gegeneinander. Wir müssen selbst der Wandel sein, den wir uns in der Welt wünschen und ich denke, nie standen die Chancen dafür besser als jetzt!

Wenn Du aktuell einen Wunsch frei hättest, welcher wäre das?

Dass aller Hass und alle Angst dieser Welt auf einen Schlag in Liebe verwandelt wird, es keine Kriege mehr gibt und dieser Planet wieder zu einem Ort wird, an dem alle Lebewesen respekt- und liebevoll miteinander umgehen und leben. Die Erde wieder zu einem Paradies wird. Aber das wird wohl noch ein Weilchen brauchen...