Aus dem Bundestag:
Digitale Transformation im Klassenzimmer?
Bildung 4.0: Wie digitale Medien in Schulen genutzt werden können
Auf Einladung von Saskia Esken, der Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion für Digitale Bildung, durfte ich am 06. September 2016 an einer inspirierenden Fachtagung teilnehmen: „Bildung in einer digitalisierten Welt“.
Peter Tscherne
Berater
Peter Tschernes besondere Stärken liegen in der Begleitung von Entwicklungsprozessen und dem Design interner Kommunikationsarchitekturen.
KONTAKTBeleuchtet wurden verschiedene Facetten digitaler Bildung. In zwei Impulsen und neun Workshops, die jeweils von einem MdB (Mitglied des Bundestages) moderiert wurden, ging es u.a. um Themen wie „Lehrerbildung im digitalen Wandel“, „Digitalisierung der Schule“ oder „Erweiterte Lernwelten der Volkshochschulen“.
Ich nahm an dem Workshop: „Partizipation in der Schule mit digital gestützten Methoden“ teil. Hintergrund: als Geschäftsführer der Stiftung Digitale Spielekultur bin ich davon überzeugt, dass der Einsatz von digitalen Spielen und spielerischen Elementen Partizipation und Motivation der Schüler massiv erhöhen können.
Inverted Classrooms: Es geht nicht nur um digitale Medien, sondern um ein digitales Mindset
Der knackige Impuls von Prof. Dr. Jürgen Handke zum Thema „Konstruktive Disruption statt Evolution“ verdeutlichte: nicht PDFs, PowerPoint und Beamer sind entscheidend für digital gestützten Lernerfolg, sondern die konkrete und kreative Nutzung digitaler Medien sowie ihre respektvolle Einbeziehung in die Lebens- und Lernwirklichkeiten der Schüler. Unter dem Stichwort „Inverted Classroom“ gilt dies für Schulen, aber auch für Hochschulen.
Neue Möglichkeiten digitaler Partizipation: Mittendrin statt nur dabei
Der Workshop zum Thema „Partizipation in der Schule“ zeigte eindrucksvolle Leuchtturmprojekte und Prototypen zu diesem Thema auf. So berichtete Markus Neuschäfer (Open Knowledge Foundation) von Hackathons, Kanban Boards und agilen Methoden wie Scrum in Klassenzimmern. Andere TeilnehmerInnen erzählten von Lerninseln und selbstorganisierten Projektteams in Grundschulen.
Aus dem Games-Bereich kenne ich weitere Beispiele der Digitalisierung: in einigen Schulen werden Schüler noch in diesem Jahr mit Virtual Reality Brillen „auf den Mond transportiert“ oder im Biologieunterricht in das „Innere des menschlichen Körpers“ reisen. Einige Lehrer und Lehrerinnen haben bereits positive Erfahrungen mit der Einbindung digitaler Spiele, bzw. Themen und Charakteren aus digitalen Spielewelten in ihren Unterricht gemacht.
Dies alles funktioniert jedoch nur, wenn Lehrer und Lehrerinnen sich als Begleiter und Coaches sehen und nicht als All-Wissende. Im Idealfall nehmen Lehrer eine ähnliche Funktion ein, wie wir bei cidpartners in unseren Beratungsprojekten: wir begleiten Prozesse, geben Impulse und verstehen uns selbst als Lernende.
Entscheidungen mit „aula“ („ausdiskutieren und live abstimmen“)
Als zweites Projekt – zum Thema „Entscheidungen“ – wurde das Projekt „aula“ vorgestellt, das von politik-digital initiiert und von der Bundeszentrale für politische Bildung finanziert ist. Referent war der Realschullehrer Dejan Mihajlovic, der „aula“ an seiner Schule einführt. Auf Basis der Liquid Democracy Software können alle Stakeholder einer Schule (Schülerinnen, Lehrer, Eltern) Ideen und Vorschläge auf einer digitalen Plattform einspeisen, diskutieren und darüber abstimmen.
Aktuell wird dieser Prototyp an vier Schulen in Deutschland ergebnisoffen getestet. Unter den Teilnehmern gab es auch skeptische Stimmen: „Haben wir alles schon gesehen und getestet, hat nie funktioniert.“ Kann sein. Ich glaube nach dem engagierten Vortrag trotzdem: das ist ein robuster Prototyp.
Meine einzige Ergänzung: jeder Vorschlag kann aktuell noch beliebig kommentiert werden. Daher werden sich voraussichtlich Klärungsfragen mit Emotionen und konkreten Einwänden mischen. Hier könnte der IDM (Integrative Decision Making Process oder auch Integrativer Entscheidungsansatz) helfen, den wir selbst nutzen und Kunden vermitteln. Der IDM trennt die Ebenen „klärende Fragen“, „persönliche Reaktionen“ und „konkrete Einwände“ sinnvoll voneinander und führt zu Klarheit bei Entscheidungen.
Deutscher Schulalltag: Noch viel Luft nach oben. Und es wird langsam besser.
Alle diese Beispiele sind Einzelfälle und progressive Lehrkräfte sind noch sehr rar gesät. Die Realität sieht an den meisten Schulen anders aus. Aber immerhin: in vielen Schulen findet heute deutlich weniger Frontalunterricht als zu meiner Zeit statt. Und auch die Mischung aus Einzel-, Gruppen- und Projektarbeit nimmt zu. Das ist gut so und spiegelt die aktuelle Entwicklung in den Arbeitswelten klassischer Organisationen wieder.
Mein Fazit: Eine Veranstaltung, die inspiriert und Hoffnung gemacht hat.
Neue Begriffe
Zum Abschluss einige Begriffe und Abkürzungen, die ich dort lernen durfte:
- BYOD: „bring your own device“ -> laut den Bildungsexperten eines der entscheidenden Parameter für den Erfolg digitaler Bildung in Schulen
- OER: Open Educational Ressources -> die freie Verfügbarkeit von Wissen und Materialien
- Open GLAM (steht für: Galleries, Libraries, Archives und Museum) -> auch diese Institutionen stellen immer häufiger ihre Inhalte digital kostenfrei zur Verfügung.
- Forking: die Gabelung -> „Eine Abspaltung ist in der Softwareentwicklung ein Entwicklungszweig nach der Aufspaltung eines Projektes in zwei oder mehrere Folgeprojekte; die Quelltexte oder Teile davon werden hierbei unabhängig vom ursprünglichen Mutterprojekt weiterentwickelt.“ (Quelle: Wikipedia). Dieses Prinzip kann zum Beispiel bei Klassenarbeiten eingesetzt werden.