Was »3x2« mit »VUKA« zu tun hat
Das Konzept der »situativen« Führung sieht vor, dass Führungskräfte ein größeres Repertoire an Praktiken flexibel nutzen und sich dabei an definierten Herausforderungen orientieren, die es durch Führung zu gestalten gilt. Dieser Idee ist auch das »3x2« Modell verpflichtet.
Arbeits- und Organisationsumwelten lassen sich entlang folgender Merkmale beschreiben, die wir landläufig als »VUKA« zusammenfassen:
- Volatilität: Veränderungsdynamik,
- Unsicherheit: mangelnde Vorhersagbarkeit von Ereignissen,
- Komplexität: Mannigfaltigkeit, Anzahl und Interdependenz von Einflussgrößen,
- Ambiguität: Unklarheit von Informationslagen.
Je stabiler und einfacher die Umwelt, desto reifer das Wissen, wie vorgegebene Ziele zu erreichen sind – hier existieren Vorgaben und Pläne, die mit Sicherheit zum Ziel führen. In einer solchen Welt besteht die Aufgabe von Führung darin, eine zuverlässige Ausführung der vereinbaren Vorgaben und Pläne sicherzustellen.
Je dynamischer und komplexer die Umwelt, desto geringer der Reifegrad dieses Wissens – es muss explorativ gearbeitet und u.U. jeden Tag aufs Neue entschieden werden, was zu tun ist und wie. Hier sind die Agilitätsanforderungen hoch: Mitarbeiter:innen und Teams müssen schnell und flexibel handeln, um sich an veränderte Herausforderungen anzupassen. In einer solchen Welt besteht die Aufgabe von Führung darin, organisationales Lernen und Agilität zu ermöglichen.
Abbildung: Verknüpfung 3x2 mit Agilitätsanforderungen (VUKA) zeigt, wie sich das Grundraster der 3 x 2 Führungspraktiken in ein situatives Leitmodell transponieren lässt: Unterschiedliche Ausprägungen von »VUKA« und – damit verbunden – unterschiedliche Reifegrade prozessbezogenen Wissens machen unterschiedliche Führungsstile notwendig.
»Führungsstil« meint in diesem Zusammenhang nicht die persönliche Vorliebe einer Führungskraft, sondern die additive Kombination der sechs Führungspraktiken, ausgerichtet an den gegebenen Agilitätsanforderungen.
- In einer sehr stabilen Welt mit hoher Prozessreife: »Motivieren« + »Vorleben« + »Fokussieren«.
- In einer unsicheren Welt mit geringer Prozessreife: »Motivieren« + »Vorleben« + »Fokussieren« + »Ermöglichen« + »Befähigen« + »Innovieren«.
Leitmodell für agile Führung
Welchen Beitrag leistet das »3x2« Leadership Framework mit Blick auf das immer noch unscharf definierte Konzept der »agilen Führung«?
Agile Führung zielt darauf ab, Arbeitsumwelten zu schaffen, in denen Mitarbeitende und Teams die an sie gestellten Leistungserwartungen (Kundenanforderungen) erfüllen können, obwohl ihre Arbeit in hohem Maße durch Unsicherheit (»VUKA«) erschwert wird.
Wie aber kann das gelingen? Hier werden zahlreiche Prinzipien, Verhaltensweisen, Haltungen bzw. »Mindsets«, Persönlichkeitseigenschaften etc. diskutiert. Es fehlt jedoch ein kohärentes Leitmodell. »3x2« kann diese Lücke füllen.
Schauen wir zunächst auf die Leitideen, die für agile Führung bisher diskutiert werden:
- Autonomie bzw. Selbstorganisation ermöglichen und damit Mitarbeitende und Teams befähigen, flexibel und schnell auf Veränderungen zu reagieren;
- Unterstützung geben, sowohl aufgabenbezogen als auch emotional; diese Idee wird durch das »Servant Leadership«-Konzept repräsentiert (siehe Infokasten);
- Räume schaffen, in denen Lösungen explorativ bzw. iterativ erarbeitet werden können, also durch ein Pendeln zwischen Experiment und Reflexion bzw. Prototyping und Feedback;
- Spannungen – d.h. Konflikte, negatives Feedback, disruptive Ereignisse – produktiv nutzen, nämlich als Treiber für Optimierung und Innovation.
Wir nutzen den Begriff »Empowerment«, um diese vier Aspekte zusammenzufassen. Aus unserer Sicht haben sie einen gemeinsamen Nenner, nämlich die Idee, Divergenz – also Vielfalt, Unterschiedlichkeit, Kreativität, Neudenken, Widerspruch, Dissonanz – zu fördern und produktiv zu nutzen.
Zugleich benötigt selbstorganisiertes Arbeiten einen Rahmen, der für die notwendige Orientierung und Abstimmung sorgt. Leitidee: Organisationen können in dem Maße Freiheitsgrade gewähren, wie zugleich »Leitplanken« existieren, die die Aktivitäten innerhalb eines Teams bzw. der Organisation koordinierend zusammenführen, die also Konvergenz schaffen. Die Schlagworte »Alignment« und »Aligned Autonomy« (siehe Infokasten) stehen für diese Idee.
Agile Führung besteht nun aus unserer Sicht darin, Konvergenz und Divergenz, »Alignment« und »Empowerment« in Balance zu bringen und diese Balance für die Organisation nutzbar zu machen. Diese Leitidee lässt sich mithilfe des »3x2«-Modells kohärent und ganzheitlich entfalten:
Agile Führung entsteht durch die Kombination aller sechs Führungspraktiken – mit dem Ziel, tragfähige Rahmenbedingungen für »Aligned Empowerment« zu schaffen. Drei Praktiken sind darauf ausgerichtet, »Alignment« zu schaffen, und zwar in einem dreifachen Sinne:
- durch emotionale Bindung (»Motivieren«),
- durch eine gemeinsame Werteorientierung (»Vorleben«),
- durch gemeinsame Ziele und koordinative Aktivitäten (»Fokussieren«).
Die drei anderen Praktiken repräsentieren die Grunddimensionen von »Empowerment«:
- »Ermöglichen«: Ressourcen zur Verfügung stellen, Hindernisse beseitigen, Selbstorganisation ermöglichen, Entscheidungsbefugnisse geben (diese Aspekte werden als strukturelles Empowerment zusammengefasst, siehe Infokasten),
- »Befähigen«: Wirksamkeit fördern durch Coaching (kompetenzorientiertes Empowerment),
- »Innovieren«: exploratives und iteratives Arbeiten ermöglichen, einen konstruktiven Umgang mit Spannungen (»Entwicklungstreibern«) fördern (innovationsorientiertes Empowerment).
Fazit
Wir haben »3x2« in zahlreichen Organisationen eingesetzt, um Leadership-Kompetenzmodelle und Feedbackprozesse, Trainings- und Coaching-Initiativen sowie Programme mit komplexen Lernarchitekturen zu gestalten. Unser Fazit aus diesen Projekten: Die integrative Kraft des Modells birgt ein enormes Potenzial, Führungskräfteentwicklung effektiver und nachhaltiger zu gestalten.
Führungskräften, die sich in agilen Kontexten bewähren müssen, kann »3x2« ein hohes Maß an Struktur und Rollensicherheit geben. Ein wichtiger Mehrwert des Modells – denn Rollensicherheit ist nicht die einzige, aber eine wichtige Vorbedingung dafür, anderen Handlungs- und Entscheidungsfreiheit zu überlassen.