IT-Change als Motor für Kulturveränderung

Sebastian Luge im Interview mit Eric Heinen-Konschak

Als Programm- und Projektleiter ist Eric bereits seit Beginn seiner Karriere in der Luftfahrtbranche immer wieder an vorderster Front dabei, wenn es um IT-Veränderungen geht. Als in einem Projekt die Frage aufkam, wie es durch die Einführung eines neuen IT-Systems gelingen kann, Veränderungen in der Zusammenarbeitskultur hervorzubringen wurde er hellhörig und neugierig. Kann das gelingen? Wenn ja, wie? Das Thema beschäftigte ihn zunehmend und er publizierte dazu. Auch in seinen aktuellen internationalen Projekten ist das Thema weiterhin relevant. Ein Grund für uns, mit ihm zu sprechen, denn uns begegnen in IT-nahen Transformationsprozessen immer wieder ähnliche Zusammenhänge.

Sebastian: Eric, wie stehen deiner Meinung nach IT-Change und Cultural Change zueinander?

Eric: In IT-Transformationsprozessen liegt der Fokus im Wesentlichen auf der technischen Seite. Sobald aber Menschen ins Spiel kommen haben wir einen klassischen Change-Prozess. Ich würde sagen, das Thema Veränderungsbegleitung bei der Einführung von IT-Systemen ist aus heutiger Sicht sehr gut untersucht, beschrieben und analysiert. Man weiß, was zu tun ist, damit man ein neues IT-System gut unter die Leute bringt und die damit veränderte Arbeitsform auch. Die Themen sind bekannt: Change-Management, Change-Kommunikation, Training, Stakeholdermanagement. Das geht in fast keinem IT-Projekt mehr ohne.

Sebastian: Wenn das alles bekannt ist, dann ist doch alles gut, oder nicht?

Eric: Zwischen Wunsch und Wirklichkeit klafft da noch eine große Lücke. Zum Beispiel wird das Thema Veränderungs-Kommunikation bei den Auftraggebern systematisch unterschätzt. Wie viel Aufwand sollte man in der in der Vorbereitung eines Projekts kalkulieren, wieviel in der Rollout-Phase? Mitten im Projekt werden dann die Stimmen der Anwender wahrgenommen, die jetzt einen veränderten Prozess und neues IT-System haben. Sie sind plötzlich unzufrieden mit dem veränderten Prozess, wissen nicht wohin mit ihrer Frustration, wohin mit ihrer Unzufriedenheit und laden das auch auf dem neuen IT-System ab. Die Akzeptanz des Systems sinkt und Effizienz sowie Effektivität leiden. Das kann man so leider zu häufig beobachten.

Sebastian: Was schlägst du vor, um diese Effekte zu vermeiden?

Eric: Die Gegenmaßnahme wären eine wirkungsvolle Begleitung des Veränderungsprozesses: die Kolleginnen und Kollegen gut auf das IT-System und auf die Prozessveränderungen vorbereiten, ihnen den Raum geben, Anregungen und auch Frustration loszuwerden und das dann wieder aufgreifen um die entstehende Energie positiv zu nutzen. Die Leute sollen eine positive Nutzungserfahrung mit den neuen Systemen und eine gute Betreuung erleben.
Wenn ich mir ein typisches Beispiel anschaue, wie ein reines IT-Projekt läuft, z.B. die Migration von Windows 7 auf Windows 10, dann läuft das in der Regel sehr erfolgreich. Es wird viel Wert darauf gelegt, dass die Mitarbeiter gut informiert sind, dass sie Räume haben, um auch ihren Ärger loszuwerden, so dass sie in den ersten Tagen eine enge Begleitung und einen guten Support haben. Das ist ein relativ gut etablierter Standard in jeder IT-Organisation.

Sebastian: Das ist ja eher ein „einfacher“ Klassiker. Geht es heutzutage in Digitalisierungsprojekten nicht um ganz andere Dimensionen?

Eric: Vor vier bis fünf Jahren hat man unter Digitalisierung noch Prozessautomation verstanden. Heute will man mit Digitalisierung mehr als effizientere Prozesse erreichen. Man will Innovation schaffen, man will auf neue Ideen kommen, vielleicht neue Geschäftsfähigkeiten, neue Geschäftsfelder erschließen. Das geht weit über eine klassische Prozessoptimierung und Digitalisierung eines Prozesses hinaus und da begegnet uns eine ganz andere Komplexität. Da reden wir plötzlich über „agiles“ Arbeiten, also über ganz andere Konzepte der Zusammenarbeit, um die gestiegene Komplexität zu beherrschen. Agiles Arbeiten heißt dann auch neue Führungsmodelle und ganz neue Rollenverständnisse einer Führungskraft. Selbst daran sieht man schon, dass sich auf Basis von Digitalisierungsprojekten die Kultur beginnt zu verändern. Gezwungenermaßen.

Sebastian: Was braucht es deiner Meinung nach für eine Zusammenarbeitskultur?

Eric: Die Führungskräfte müssen zum Beispiel lernen, Freiräume zu geben. Freiräume, die die Möglichkeit schaffen, das sich verschiedene Menschen mit verschiedenen Perspektiven im Projekt zusammenfinden. Das ist agiles Arbeiten: die unterschiedlichen Perspektiven zusammenbringen. Dadurch schafft man die Möglichkeit, dass etwas Kreatives und Innovatives entstehen kann. Führungskräfte und andere Führungsrollen müssen auch Formatkompetenz entwickeln. Formate, die eine wirkungsvolle Zusammenarbeitskultur erzwingen sind Design Thinking als klassisches Format und zum Beispiel auch SCRUM. Wenn man sich das genau anschaut, dann zwingen diese Methoden zu interdisziplinärer Zusammenarbeit. Unternehmen sind in der Realität häufig von dieser multiperspektivischen Zusammenarbeit noch meilenweit entfernt. Es geht auch darum, „Ausprobieren“ zu ermöglichen. Das kann auch bedeuten, mal in die falsche Richtung gelaufen zu sein. Ein Thema, das nicht nur Führungskräfte, sondern auch Mitarbeiter im Moment stresst ist, dass keiner weiß, was wahr ist oder was eine gute Lösung für bestimmte Probleme ist. Es ist für Führungskräfte sehr wichtig parallele Lösungswege zuzulassen.

Sebastian: Was meinst du mit „parallele Lösungswege zulassen“?

Eric: Als Beispiel: Zwei verschieden Teams unabhängig voneinander und parallel mit ein und demselben Thema zu beauftragen. Mit derselben Fragestellung. Nur um zu schauen, was wo entsteht. Dafür braucht es eine gewisse Redundanz und entsprechende Kapazitäten im Unternehmen. Das muss man sich leisten. Das erfordert auch die Fähigkeit aushalten zu können, dass andere am selben Thema arbeiten und auf andere Lösungen kommen. Vielleicht auch auf eine bessere Lösung. Gemeint ist hier der Umgang mit Ambiguität, also mit Mehrdeutigkeit. Unterschiedliche parallele Ansätze ausprobieren ist ein Muster, das es in einer hierarchischen Organisation vor 8, 10 oder 12 Jahren nicht gegeben hat.

Sebastian: Was sind die Fragen, die sich Unternehmen in diesem Kontext deiner Meinung nach stellen sollten?

Eric: Ich denke gerade an einen konkreten Fall. Bei einem kleinen Unternehmen hat mich der Finanzleiter angesprochen: „ich habe ein paar Problemfelder, hier sind die Lösungen, die ich mir vorstelle.“ Aus meiner Sicht waren das nur Symptome für größere Probleme. Die Probleme lagen nicht rein in den Prozessabläufen und in der IT-Unterstützung dieser Prozesse. Was ich ihm vorgeschlagen habe war, erstmal alle relevanten Leute zusammen zu bringen: den kaufmännischen Bereich, den Personalbereich und Operations. Um gemeinsam einen Blick auf die Problemlandschaft zu bekommen und gemeinsam zu priorisieren und zu überlegen wo was wie zusammenspielt und an welchen Themen zuerst gemeinsam gearbeitet werden muss, um diese wirkungsvoll zu lösen. Also nicht das Problem rein mit der kaufmännischen Brille zu sehen, dann eine kaufmännische Lösung zu erstellen, die aber gleichzeitig das Arbeiten für Operations und HR komplizierter macht.

Sebastian: Wo siehst du die größten Gefahren?

Eric: Ich halte es für gefährlich, wenn man versucht, Komplexität zu reduzieren, um einfache und schnelle Lösungen anzubieten. Wenn Komplexität zunimmt muss der Raum, in der die Lösung gesucht wird, größer und komplexer gemacht werden und die Unsicherheit, die dadurch in hohem Maßen entsteht, die muss man in der Lage sein auszuhalten. Wenn man dann die unterschiedlichen Perspektive zusammengebracht hat und einen gemeinsamen Blick auf die Herausforderung gewonnen hat, dann geht es im nächsten Schritt darum zu entscheiden, wo man eigentlich anfängt. Und es geht dann um die Frage, wo man mehr Klarheit schaffen muss, auch im Sinne eines gemeinsamen Zielbilds, um jedem Beteiligten einen Orientierungspunkt zu geben.

Sebastian: Wie kann man sicherstellen, dass man auf dem Weg nicht irgendwo falsch abbiegt?

Eric: Das geht gut, indem man Rückkoppelungsschleifen etabliert. Anlässe oder Formate, in denen man mit den Nutzern die verschiedenen Systeme oder die Schnittstellen anschaut und Feedback einholt. Man sollte lieber schnell kleine Module entwickeln und jeweils Feedback der Anwender dazu einholen. Das ist besser als lange zu planen, zu entwickeln und dann am Ende zu merken, dass man falsch abgebogen ist.

Sebastian: Zusammengefasst, wovon würdest du abraten und wozu würdest du stattdessen raten bei solchen Digitalisierungsprozessen?

Eric: Von zwei Dingen würde ich abraten. Ersten, eine konkrete Lösung zu beauftragen, ohne mit allen geredet zu haben die davon betroffen sein werden und zweitens, ein Gesamtbild zu entwerfen, das alle Eventualitäten von vorne an berücksichtigen soll, denn das ist nicht zu schaffen.
Wozu ich rate ist, von Anfang an mit allen Beteiligten und Betroffenen zu sprechen und alle Perspektiven sichtbar zu machen. Wenn dann für alle Beteiligten noch ein gemeinsam getragenes Bild von dem entsteht wo es hingehen soll, dann kann man schnell und wirkungsvoll die einzelnen Baustellen angehen und Schritt für Schritt Lösungen bereitstellen. Und wenn man bei einer Teilstrecke mal falsch abgebogen ist, dann ist es besser das früh zu merken, als nach zwei Jahren Arbeit zu merken, dass die gewünschte Wirkung nicht eintritt.

Die Kunst ist, das Verständnis zu schaffen, dass ein Anliegen ein Teil eines größeren Systems ist und es deswegen Sinn macht, sich das gesamte System mit all seinen Zusammenhängen anzuschauen. Dies aber nur grob tun, also im Sinne einer Vision. Dann sollte man mit möglichst schnellen und konkreten Teilprodukten erste Lösungen entwickeln, die einen der Vision näher bringen.

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Sebastian Luge

Berater

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