Was Teams erfolgreich macht

CIDPODCAST ZUM NACHLESEN: REIHE CIDPRACTICES, FOLGE #16

Leistungsfähige Teams sind durch bestimmte Kernelemente gekennzeichnet. Welche Faktoren sind es? Und welche Auswirkungen haben sie auf die Führungspraxis? Kristina Evers und Marc Solga, Gesellschafter:innen von cidpartners, stellen im Gespräch ein Leitmodell vor, das diese Fragen beantwortet.

WAS SIND HIGH-PERFORMING TEAMS?

Kristina Evers: Herzlich willkommen zu einer neuen Folge des cidPodcasts. Das Thema ist heute "Wie bekomme ich eigentlich ein Hochleistungsteam?" oder auch anders: "Was macht Teams erfolgreich?" Mein Name ist Kristina Evers. Ich bin Gesellschafterin und Beraterin bei cidpartners und mir gegenüber sitzt heute Marc Solga, Managing Partner bei cid.

Für uns beide ist es ein wichtiges und spannendes Thema in unserem beruflichen Alltag. Was ist es genau, was Teams erfolgreich oder vielleicht sogar zu Hochleistungsteams macht. Marc, es gibt ja diesen Begriff von High Performing Teams. Was heißt das eigentlich?

Marc Solga: High-Performing Teams sind Teams, die exzellent im Erreichen gesetzter Ziele und exzellent im Umsetzen von Plänen sind. Sie sind auf der Dimension von Produktivität und Effektivität außergewöhnlich und das auf eine dauerhafte und nachhaltige Art und Weise.

Zusätzlich sind es Teams, denen es zugleich gelingt aus Fehlern und Misserfolgen zu lernen und auf Basis dieses Lernens schnell und flexibel auf Veränderung zu reagieren. Auf kontinuierliche Veränderungen im operativen Kontext, aber auch auf sprunghafte, disruptive Veränderungen. Mit anderen Worten: High-Performing Teams reagieren agil auf Veränderungen.

GEMEINSAME MENTALE LANDKARTEN, KOHÄSION UND COMMITMENT SOWIE TEAMPROZESSE ALS MERKMALE ERFOLGREICHER TEAMS

Kristina Evers: Wahrscheinlich bin ich nicht die Einzige, die sich fragt: „Wie machen diese Teams das denn? Welche Merkmale gibt es, die solche Teams vereinen?“

Marc Solga: Das sind im Wesentlichen drei:

  • Nummer eins: Besonders leistungsfähige Teams besitzen ein exzellentes gemeinsames Wissen und Verständnis der gemeinsamen Arbeitswelt. Die Mitglieder des Teams besitzen ein und dieselbe Landkarte, um sich im Alltag zu steuern und sich miteinander zu koordinieren, also ein sogenanntes „shared mental model".
  • Nummer zwei: High Performing Teams besitzen ein produktives Klima. Sie besitzen ein hohes Maß an Kohäsion und zugleich ein hohes Maß an commitment. Dazu gehört Vertrauen und psychologische Sicherheit, kollektive Wirksamkeit und eben das "task commitment".
  • Und Nummer Drei: High Performing Teams gestalten erfolgskritische Prozesse der Teamarbeit mit einer besonderen Aufmerksamkeit und Struktur. High Performing Teams gehen sehr aufmerksam und sehr strukturiert mit kritischen Teilprozessen um und sorgen dafür, dass diese Teilprozesse auf das Thema gemeinsame Landkarte, gemeinsames Wissen und Verständnis einerseits und produktives Klima andererseits einzahlen. Zwischen diesen Größen gibt es eine Wechselbeziehung. Das heißt, je sorgfältiger ich mit diesen Teilprozessen umgehe, desto exzellenter die gemeinsame Landkarte und desto besser das produktive Klima. Landkarte und Klima, auch emergent states genannt, wirken dann wieder auf die Prozesse zurück. Emergent States sind Zustände, die durch die Art und Weise der Zusammenarbeit emergent entstehen und sie wirken zurück auf die Art und Weise der Zusammenarbeit.

GEMEINSAME MENTALE LANDKARTEN: SCHLÜSSEL ZU WISSEN, KOORDINATION UND ANPASSUNGSFÄHIGKEIT IM TEAM

Kristina Evers: Klassische Wechselbeziehung, du hattest es gesagt. Lass uns mit den gemeinsamen mentalen Landkarten starten. Was sind Bestandteile von solchen Landkarten? Wie muss ich mir das genau vorstellen? Woraus schöpfen diese Teams?

Marc Solga: Diese Landkarten haben viele Komponenten. Wenn man die ein bisschen sortieren will, dann passen vielleicht folgende drei Schubladen:

  • Nummer eins: Wissen und Verständnis, das sich auf den gemeinsamen Fokus bezieht. Hier geht es um Wissen und Verständnis mit Blick auf "Purpose", also den Sinn und Zweck des Teams mit Blick auf Kundenerwartungen, strategische und operative Ziele und die Frage: „Wie müssen wir diese Ziele priorisieren?“.
  • Die zweite Schublade hätte zu tun mit dem Thema Koordination. Hier geht es um die Aspekte der Landkarte, die ein koordiniertes Miteinander ermöglichen. Da sind wir beim Thema Rollen, bei Prozesse, die beschrieben werden müssen, bei Standards, bei Richtlinien, bei Policies.
  • In der dritten Schublade sind Aspekte der gemeinsamen Landkarte zu finden, die auf die gemeinsame Anpassungsfähigkeit, also Umgang mit außergewöhnlichen Herausforderungen einzahlen. Was sind denn die relevanten Kontextbedingungen, auf die wir achten, die wir beobachten müssen? Was sind kritische Signale? Was ist relevante Information? Was sind Pläne für den Umgang mit disruptiven Ereignissen, mit Unfällen, mit Krankheit, mit außergewöhnlichen Dingen, die sich auf Kundenseite tun? Auch zu wissen, wer ist wofür im Team und im Umfeld des Teams ein Experte? Wessen Ratschlag und Unterstützung können wir gebrauchen und abrufen, wenn die Hütte brennt? Also Fokus, Koordination, Anpassungsfähigkeit, um darauf gemeinsame, eindeutige Antworten zu haben.

Hierbei wäre das "shared mental model" die gemeinsame Landkarte. Teams, die das nicht haben, müssen sich im Prinzip kontinuierlich abstimmen. Und die Gefahr für Missverständnisse, Fehler und Spannung ist sehr groß. Vor allem gibt es einen großen Zeitverlust dadurch, dass die Leute ständig miteinander reden müssen. Das Besondere am "shared mental model" ist, dass Menschen, ohne miteinander sprechen zu müssen, wohl abgestimmt handeln können. Da gibt es das, was wir "tested coordination" nennen. Sich abstimmen können, ohne miteinander zu sprechen, weil man weiß, was der andere tut. Er benutzt nämlich dieselbe Landkarte.

Kristina Evers: Das kann ich aus meiner Praxis tatsächlich bestätigen, wie wichtig das ist, diese Transparenz und Klarheit herzustellen und ich denke gerade an so einige Beispiele von Teams, die aus dieser Welt von ständig notwendiger verbaler Abstimmung und endlosen Runden kommen und dann eine gemeinsame mentale Landkarte gefunden haben und feststellen, wie viel reibungsloser das geht und wie viel weniger Zeitverlust sie haben und wie viel mehr Flowzustand.
Das ist wirklich schön zu sehen, wenn die Teams an diesen drei Themen Fokus, Koordination und Anpassungsfähigkeit arbeiten.

Das Besondere am "shared mental model" ist, dass Menschen, ohne miteinander sprechen zu müssen, wohl abgestimmt handeln können

Marc Solga: Nochmal zum "shared mental model": dieses Modell ist vor allem relevant, wenn ein Team Expertisen pulen und koordinieren muss. Wenn alle dasselbe tun und einfach nur nebeneinander arbeiten, dann sprechen wir oft fälschlich von Teams, obwohl wir eigentlich nur eine Gruppe von Menschen vor uns haben. Dann ist ein "shared mental model" nicht so relevant. Dann, wenn jeder ein Experte für eine ganz bestimmte Nische ist und wir die Expertisen zusammenwerfen und integrieren müssen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen, dann ist das "shared mental model" ganz besonders relevant. Also wenn wir eine hohe Divergenz auf Expertise Ebene im Team haben.

VERTRAUEN UND PSYCHOLOGISCHE SICHERHEIT SIND WESENTLICHE ELEMENTE VON KOHÄSION UND COMMITMENT

Kristina Evers: Lass uns mal auf den zweiten Bereich gucken. Gemeinsame, mentale Landkarten hatten wir schon und jetzt schauen wir auf Kohäsion und Commitment. Was sind da die wesentlichen Elemente?

Marc Solga: Das eine ist ein Klima des Vertrauens, das zweite wäre die psychologische Sicherheit, das Dritte das Erleben von kollektiver Wirksamkeit und als viertes Zielcommitment.

Vertrauen auf Teamebene würde ich nicht als etwas, dass zwischen zweien stattfindet, interpersonell, sondern als etwas, was die Qualität eines Teams ausmacht, definieren. Also Vertrauen als Zuversicht in die Gutwilligkeit, Integrität und Effektivität der anderen, sowie die anderen als freundlich und hilfsbereit, als zuverlässig, pflichtbewusst, vorhersagbar, aber auch als wirksam im Sinne von sind gute Problemlöser, haben eine hohe fachliche Kompetenz, sind Ziel fokussiert, bringen viel Selbstdisziplin ins Team hinein, zu erleben.

Psychologische Sicherheit bedeutet: Ansichten, Ideen und Anliegen offen und freimütig äußern zu dürfen, ohne dafür bestraft zu werden.

Die psychologische Sicherheit betont das Konzept der psychologischen Sicherheit und die Möglichkeit, interpersonell in ein Risiko zu gehen, das heißt etwas zu tun, das anderen anderswo aufstoßen würde. Wenn ich zum Beispiel kritisches Feedback gebe, kritische Fragen stelle, Verbesserungsvorschläge einbringe. Dann gelte ich als arrogant, als besserwisserisch, als querulatorisch vielleicht. Das ist ein interpersonelles Risiko. Wenn ich Schwäche zeige, um Unterstützung bitte, eine dumme Frage stelle, vielleicht einen Vorschlag mache, der noch nicht ausgegoren ist, dann gelte ich als "nicht smart genug", dumm und schwach, auch das ist ein interpersonelles Risiko.

Amy Manson definiert psychologische Sicherheit als die Bereitschaft, in so ein interpersonelles Risiko hineinzugehen, weil ich weiß, dass ich nicht bestraft werde, wenn ich mich auf diese Weise riskant verhalte. Das ist also eine Fokussierung dessen, was wir Vertrauen nennen. Und zum Vertrauen, um noch mal einen anderen Abgrenzungspunkt zu nennen gehört auch die Zuversicht in die Wirksamkeit, in die Effektivität der anderen. Das ist nicht Teil der psychologischen Sicherheit, die betont an der Stelle eher die Gutwilligkeit der anderen.

"Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht." Man kann psychologische Sicherheit nicht behaupten und man kann sie auch nicht in einem vier Stunden Workshop einfach herzaubern.

Kristina Evers: Welche Empfehlung hast du denn, wenn das so gar nicht vorliegt? Ich erlebe es häufig so, dass Lippenbekenntnisse gemacht werden. „Ja, wir haben hier eine sehr große psychologische Sicherheit, wir legen sehr viel Wert auf gegenseitiges Vertrauen und auf ein Klima, in dem man sich äußern kann“. Aber wenn das nicht da ist, hast du eine Empfehlung?

Marc Solga: Hier kommt mir sofort der Spruch: "Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht." in den Kopf. Man kann psychologische Sicherheit nicht behaupten und man kann sie auch nicht in einem vier Stunden Workshop einfach herzaubern. Psychologische Sicherheit muss wachsen und gedeihen und die muss man über lange Zeiträume hinweg kultivieren. Dabei helfen zweifellos Routinen und Rituale, aber mit einem Einzelworkshop ist es zweifellos nicht getan.
Soweit wir wissen, spielt Führung eine große Rolle. Also: Wie agieren die Führungskräfte? Führungskräfte, die bewusst mit der Art und Weise umgehen, wie sie im Team agieren, wie sie kommunizieren, wie sie Meetings und Workshops gestalten sind ganz kritische Größen.

KOHÄSION UND COMMITMENT: ERLEBEN KOLLEKTIVER WIRKSAMKEIT UND ZIELCOMMITMENT

Kristina Evers: Lass uns doch neben dem Vertrauen und der psychologischen Sicherheit noch auf die zwei anderen Aspekte eingehen, die du eben genannt hattest, die zu Kohäsion und Commitment gehören, nämlich das Erleben kollektiver Wirksamkeit und das Zielcommitment.

Marc Solga: Kollektive Wirksamkeit ist die Zuversicht, dass wir als Team in der Lage sind und es schaffen, die geforderten Aufgaben zu erledigen und Aktivitäten wirksam umzusetzen, die wir umsetzen müssen, um ans Ziel zu kommen. Also schlicht und einfach gemeinsames Selbstvertrauen als ein Aspekt der Kultur oder des Klimas im Team.

Das Ziel-Commitment ist eine Identifikation aller mit dem "Purpose" und den Zielen im Team und an der Stelle darf man dann sicherlich auch darüber nachdenken, was haben die Ziele des Teams und der Purpose des Teams denn mit den Zielen und dem "Purpose der Gesamtorganisation" zu tun? An der Stelle wäre das eine Gelegenheit auch zu sagen, dass so ein "High Performing Team" von irgendjemandem als hoch performant gesehen und beurteilt werden muss. Es sollte idealerweise die Organisation sein, also sprich die Wertschätzung und Anerkennung, die findet nicht nur im Team statt, sondern es sehen auch die berühmten "Stakeholder".

Ich habe mich viel beschäftigt mit dem Thema: Gibt es eine Form von Kohäsion und Commitment, die auch kontraproduktiv sein kann?
Und das kann sehr wohl der Fall sein, dann sind wir bei den berühmten "Silos" oder "Blasen", also eine Überidentifikation mit dem Team, die eben dazu führt, dass man sich abschottet und die kollektiven Interessen nicht mehr so im Auge hat.

Kristina Evers: Das kann ich auch genauso bestätigen, dass das das Risiko besteht, und zwar auch gar nicht so selten. Wie steht es um die Teamprozesse, als drittes Element von High Performing Teams?

TEAMPROZESSE: ÜBERGANGS-, UMSETZUNGS- UND INTERPERSONELLE PROZESSE

Marc Solga: Erst vor kurzer Zeit, 2019/2020, haben sich die, die miteinander Teamforschung machen, auf einen Katalog von Teamprozessen geeinigt, die als erfolgskritisch gelten. Auch hier gibt es eine Dreiteilung.
Es wird unterschieden zwischen Übergangs-, Umsetzungs- und interpersonellen Prozessen:

  • Die Übergangsprozesse sind Prozesse, die zwischen den "Sprints" oder den Arbeitsphasen stattfinden, also die Retrospektive, eine kritische Reflexion der Vergangenheit, der zurückliegenden Leistungsperiode. Zurückschauen, um Erfolge und Misserfolge zu verstehen, sie zu analysieren und das für den nächsten Schritt zu nutzen. Ziele setzen gehört in diese Übergangsprozesse: Ziele setzen, Ziele priorisieren und dann natürlich Aktionspläne ableiten, Antworten auf die Frage finden: Wer macht was wann? Das sind die Übergangsprozesse zwischen den "Sprints".
  • Dann gibt es während der "Sprints, die Umsetzungsprozesse. Dazu gehört beispielsweise Monitoring, Fortschritte und Veränderungen beobachten, auch Veränderungen vorhersagen. Koordination und Synchronisation gehören ebenfalls dazu: Aktivitäten abstimmen, sich austauschen mit Blick auf Erfahrungen, Perspektiven, Informationen, um miteinander mehr Klarheit zu haben und die Klarheit zu schaffen und zu schärfen, die man in der Zusammenarbeit braucht. Unterstützung gehört auch dazu: Einander helfen, sich Rückendeckung geben, wissen wie gehen wir mit Ausfällen, mit Krankheit beispielsweise um?
  • Die interpersonellen Prozesse sind fokussiert auf Kohäsion und auf Resilienz. Also nach Spannungen, nach Fehlern, nach Misserfolgen in die gute Form zurückfinden. Interpersonelle Prozesse sind auf Kohäsion und Team Resilienz orientiert und dazu gehört Motivation, also einander Wertschätzung und Anerkennung geben, Erfolge feiern. Dazu gehört auch eine kollektive Emotionsregulation, produktiven Umgang mit Schwierigkeiten und mit Stress finden, sich einander wieder aufrichten und Konfliktbewältigung bzw. Spannung verarbeiten. Auch gehört dazu, mit den interpersonellen Spannungen, die in der Zusammenarbeit entstehen, auch mit den operativen Spannungen zwischen Rollen konstruktiv umzugehen, Aufgaben, Konflikte und auch Beziehungskonflikte gut und konstruktiv zu klären. Sowie konstruktive Kontroversen zu nutzen, um Spannungen sogar produktiv fürs Team zu nutzen.

WIE RETROSPEKTIVEN TEAMS ERFOLREICHER MACHEN KÖNNEN

Kristina Evers: Ich mag dieses Modell sehr, weil es auf der einen Seite so einfach ist mit den drei Merkmalen: die gemeinsamen, mentalen Landkarten, dann das Thema Kohäsion und Commitment und die Teamprozesse und diese drei sind ganz klar untergliedert. Gleichzeitig stelle ich mir die Frage: Kann das bei Teams nicht auch zu Überforderung führen? So nach dem Motto "Wow, so viel auf das wir achten müssen."
Hast du eine Idee für die Umsetzung oder gibt es vielleicht sogar etwas, wie man das messen kann? Wie sind wir eigentlich als Team unterwegs?

Marc Solga: Es gibt viele elaborierte Möglichkeiten, die Aspekte zu messen. Wir haben zum Beispiel neulich ein "Assessment der leichten Hand" gebaut, das man nutzen kann, um eigentlich alle Elemente, die wir bisher besprochen haben zu reflektieren und in einer gemeinsamen Inventur zu untersuchen und dann miteinander Verbesserungen zu vereinbaren.

Das ist jetzt sicherlich der Punkt, an dem wir auf ein "Whitepaper" hinweisen sollten, das man auf unserer Downloadseite finden kann.

Ich habe jetzt eine ganze Palette an Prozessen aufgezeigt, ich glaube insgesamt neun. Die lassen sich auch zusammendenken und vielleicht noch priorisieren.
Soweit wir wissen, ist ein ganz relevanter Hebel Retrospektiven, also die Rückschau und Planung miteinander zu verbinden, indem ich mich frage, was lief in der letzten "Sprint" Periode gut? Was hat funktioniert? Was lief noch nicht so gut? Wo können wir besser werden und wie konkret kriegen wir die Erkenntnisse in die nächste Phase transportiert? Wenn es gelingt, Retrospektiven angstfrei, wertschätzend, konstruktiv zu inszenieren, dann zahlen sie auf die gemeinsame Landkarte und die Kohäsion beziehungsweise das Klima ein.
Der zweite Aspekt ist das Thema Spannung verarbeiten, einen guten konstruktiven Weg finden, um interpersonelle, aber auch rollengebundene Spannungen und Konflikte zu verarbeiten.

Kristina Evers: Du sagtest zum Thema Retrospektive so schön „ein Instrument, dem fast ein bisschen die Strahlkraft fehlt“, weil es so viele Teams mittlerweile tatsächlich durchführen. Das entspricht genau meinem Erleben. Manchmal, wenn ich mit Teams arbeite, die sich in die entsprechende Richtung weiterentwickeln wollen und der Vorschlag der Retrospektive kommt, dann gibt es eine Reaktion wie: "ach echt jetzt, das machen wir doch schon" und manchmal braucht es dann ein sanftes Stupsen in Richtung wirklicher Öffnung und in Richtung des Ansprechens der wirklich relevanten Themen. Weil nicht immer die Retro, das ist meine Erfahrung, in der nötigen Tiefe durchgeführt wird. Vielleicht auch, weil nicht genug Raum da ist. Ich spreche nicht nur von Zeit, ich spreche tatsächlich von Raum, die wirklichen Themen anzusprechen, um die es geht.

Marc Solga: Man sollte bei Retrospektiven ein paar Erfolgspunkte im Blick haben, damit die wertvoll bleiben und die Energie erhalten bleibt. Retrospektiven können, wenn man sie immer auf dieselbe Art und Weise macht, irgendwann sehr beschwerliche energiearme Veranstaltung werden. An dieser Stelle wäre es empfehlenswert, den Modus der Retrospektive immer mal wieder zu verändern. Zum einen durch unterschiedliche Menschen, die und zum anderen durch unterschiedliche Formate für die Retrospektive. Hierbei meine ich nicht die unterschiedlichen Gewänder für immer ein und dasselbe. Also so der klassische Ansatz "Was hat gut funktioniert, was hat noch nicht funktioniert?". Sondern das Format der Retrospektive zu wechseln. Zum Beispiel eine Inventur auf einer Zeitleiste zu machen.

Außerdem ist es wichtig, dass bei der Retrospektive immer nur die mitmachen, die wirklich was zu sagen haben und das sind in einem Team nicht immer alle, sondern das sollten immer die sein, die interdependent mit jemandem zusammengearbeitet habe. Interdependenz meint in einer wechselseitigen Abhängigkeit, wo unsere Zielerreichung davon abhängt, dass wir zwei gut zusammenarbeiten. Eine Retrospektive muss eben dort stattfinden, wo Menschen interdependent zusammenarbeiten. Auf operativer Ebene allemal, aber auch auf Beziehungsebene ist da mehr Energie drin.

Retrospektiven können, wenn man sie immer auf dieselbe Art und Weise macht, irgendwann sehr beschwerliche energiearme Veranstaltung werden

Zusätzlich wäre kurz und knackig auch noch ein Hinweis. Ich bin nicht immer ein Freund von Timeboxing, da bleibt auch viel auf der Strecke. Aber im Prinzip kurz und knackig ist eine gute Idee.

SPANNUNGSURSACHEN: AUFGABENKONFLIKTE UND BEZIEHUNGSKONFLIKTE

Kristina Evers: Also klares Votum dafür, die Retrospektive durchzuführen und vielleicht das in Varianten zu tun und vor allem mit den Menschen, die wirklich beteiligt sind. Spannende neue Blickwinkel. Du hast gesagt, das Thema Spannungen verarbeiten ist auch wichtig. Was ist es da, was dich umtreibt?

Marc Solga: Also du kannst aus zwei Perspektiven auf das Thema Spannung gucken und diese zwei Perspektiven, die ergänzen sich. Die eine Perspektive ist die der Konfliktforschung, der Frage: "Was machen Konflikte in Teams mit der Produktivität von Teams und mit dem Wohlbefinden von Teammitgliedern?" Und aus dieser Perspektive unterscheiden wir Aufgabenkonflikte und Beziehungskonflikte:

  • Aufgabenkonflikte sind Konflikte, die sich als „gemeinsame Landkarte fehlt oder ist fehlerhaft“ definieren lassen und deswegen gibt es Spannungen, Missverständnisse und Fehler in der Zusammenarbeit.
  • Beziehungskonflikte sind Konflikte, die auf der persönlichen Ebene stattfinden. Da eigentlich immer verankert sind in einem Gefühl von Kränkung und Zurückweisung. Meistens gibt es in Teams zuerst Aufgabenkonflikte, die aber nicht erkannt werden, nicht bearbeitet werden und die dann eskalieren und zu Beziehungskonflikten werden.
Meistens gibt es in Teams zuerst Aufgabenkonflikte, die aber nicht erkannt werden, nicht bearbeitet werden und die dann eskalieren und zu Beziehungskonflikten werden

Warum? Weil irgendwann der eine so genervt ist, dass er dem anderen irgendetwas sagt, was den wiederum sagen lässt: "Wir zwei sind ab sofort keine Freunde mehr". Aus dieser Perspektive wäre das Thema Spannung verarbeiten die Frage: "Wie kann es gelingen, Aufgabenkonflikte zu erkennen, konstruktiv zu bearbeiten, zu vermeiden, damit sie nicht zu Beziehungskonflikten eskalieren?"

Die zweite Perspektive mit Blick auf das Thema Spannung ist die, die eigentlich aus dem Organisationsdesign kommt. Konkreter aus der Soziokratie, ethischen oder holokratischen Kontexten, wo Spannung als jemand erlebt eine Diskrepanz zwischen dem, was ist, und dem, was sein könnte definiert ist. Einem aktuellen Zustand und einem zukünftigen oder potenziellen Zustand, der als besser oder optimaler gedacht wird. Hier können Spannungen auch Chance sein. Das ist kein defizitorientierter Begriff und hier kann man das Thema Spannung auch größer interpretieren. Hier gibt es Spannungen mit Blick auf das, was wir tun und das, was der operative Kontext braucht. Das sind dann eher strategische Spannungen. Jedenfalls, wenn man das auf Organisationsebene betrachtet. Dann kann es Spannung zwischen Rollen geben, die mit Binnenstrukturen und Prozessen zu tun haben.

Es kann operative Spannungen geben in der alltäglichen Zusammenarbeit. Also aus der Perspektive von Spannungen in ihrem organisationalen Gehäuse. Das wäre der zweite Ansatz, darauf zu gucken und nur hier ist dann die Frage wie kann man Spannungen konstruktiv prozessieren? Dann ist man bei integrativen Entscheidungsprozessen und der Idee, eine Organisation dynamisch zu verstehen und über das konstruktive integrative Verarbeiten von Spannungen kontinuierlich zu optimieren. Stichwort: „dynamische Organisation“. Auch dazu findet der Zuhörer ein Whitepaper in der Bibliothek von cidpartners.

Kristina Evers: Das Thema Spannungen verarbeiten, Spannungen prozessieren ist ein so weites und ein so wichtiges, dass wir uns dazu einfach noch mal unterhalten sollten. Vielen Dank an Dich an dieser Stelle.

Marc Solga: Sehr gerne. War mir ein Spaß. Tschüss.

Shownotes

 

In dieser Folge von cidPodcast sprechen Kristina Evers und Marc Solga über die Merkmale von erfolgreichen Teams.

Leistungsfähige Teams sind durch bestimmte Kernelemente gekennzeichnet. Dazu gehören u.a.

  • Bildung gemeinsamer mentaler Modelle
  • Schaffung eines produktiven Teamklimas, geprägt von Kohäsion und Engagement
  • Strukturierte Handhabung essenzieller Teamprozesse wie Reflexion und Synchronisation

Zusätzlich spielen Retrospektiven und das Prozessieren von Spannungen eine wichtige Hebelfunktion bei der Umsetzung.

Weitere Infos:

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