Change-Management im IT-Kontext
CidPodcast zum Nachlesen: Reihe CidPractices, #Folge 06
Welche Verbindungen gibt es zwischen Projektmanagement, Change-Management und Organisationsentwicklung, wenn man auf Veränderungsprozesse im IT-Umfeld schaut? Detlev Trapp, Gründer von cidpartners, spricht darüber mit Matthias Henkemeier, Head of Project Management bei Arvato Systems.
Detlev Trapp: Sprechen wir über Change-Management in der IT. Wofür schlägt Dein Herz, wenn Du auf Deine 10 Jahre Arbeitserfahrung in diesem Umfeld schaust - was reizt Dich besonders?
Matthias Henkemeier: Die IT-Branche ist ganz zentral für einen der größten gesellschaftlichen Entwicklungstrends. Da steckt unglaublich viel Dynamik dahinter und somit auch unheimlich viel Arbeit, die am Puls der Zeit geleistet werden kann. Dadurch werden Dinge größer gedacht und können gesellschaftlich verändert werden.
Und das passt gut zu meiner Leidenschaft für das Projektmanagement. Denn auch da weiß man morgens teilweise noch nicht genau, was auf einen zukommt – das prägt und begeistert mich. Neu ist das Thema Change. Der Fokus liegt verstärkt darauf zu schauen, wo man über eine technische Ebene hinaus geht und auf größere Organisationsteile und Anwendergruppen blickt, die mit Hilfe von oder unterstützt durch IT, eine Phase des Wandels durchlaufen.
DIE ROLLE VON ORGANISATIONSENTWICKLUNG BEI DIGITALER TRANSFORMATION
Detlev Trapp: Das Thema digitale Transformation ist ein wesentlicher Aspekt bei den Themen und Projekten, die Ihr auch vorantreibt. Warum spielt Change und Organisationsentwicklung dort immer mehr eine Rolle?
Matthias Henkemeier: Zunächst denke ich, dass die IT an sich aus keinem Business dieser Welt wieder wegzudenken ist.
Wir haben unheimlich schnelle, rasante technische Entwicklungszyklen. Unsere Kunden und auch wir, wollen zum einen von diesen Entwicklungssprüngen profitieren. Wir sind auch vermehrt in der IT-Infrastruktur unterwegs. Deshalb geht es gleichzeitig auch um eine technische Unterstützung. Da kommt es stark darauf an, dass Betriebsstabilität und Hochverfügbarkeit gegeben sind, sodass Änderungen quasi geräuschlos im laufenden Betrieb umgesetzt werden können. So kann schnell von den Verbesserungen profitiert werden.
Und zum anderen wollen und haben wir schon an vielen Stellen nicht nur Veränderung im Backend versteckt im Rechenzentrum, sondern an Benutzeroberflächen und bei Prozessen für die Anwendergruppen, also für die Mitarbeitenden und Kunden. Das gepaart ergibt eine unheimliche Dynamik und eine Verbindung zwischen einem technischen Projektauftrag und den Menschen, die dahinterstehen und involviert sind. Und dabei ist die zentrale Frage, was getan werden kann, damit alle von der Optimierung profitieren können.
Detlev Trapp: Das Thema IT-Change hatte schon vor circa fünfzehn Jahren mal eine größere Welle. Bereits da war die Frage, wie eine IT-Implementierung nicht nur durch die technische Brille gesehen werden kann, sondern gleichzeitig auch die Personen in der Organisation mitgenommen werden. Wie kommt dabei das Thema Organisationsentwicklung für Dich ins Spiel?
Matthias Henkemeier: Das ist ein Spagat in den Projekten. Einerseits ein (kleines) Team zu bilden, das schnell durch eine Konzeptionsphase läuft und Veränderung vorantreibt. Auf der anderen Seite haben wir nicht mehr nur ein „super Brain“, sondern verteiltes Wissen. Das sind alle Beteiligte, die mit ihrer Expertise einen super Beitrag bei der Konzeption und Umsetzung leisten sollen und später am besten auch nutzen, was wird in diesen Projekten einführen.
Die Kunst besteht darin, ein Konstrukt zu finden, in dem Mitarbeitende früh im Prozess eine Chance haben mitzugestalten und ihre Expertise einzubringen und gleichzeitig ein Thema oder eine Diskussion nicht zu überladen, um auch irgendwann voranzukommen. Dafür ist es wichtig, ein geeignetes Setup und Methoden zu finden, die diesen Spagat möglich machen.
PROJEKTMANAGEMENT UND CHANGE-MANAGEMENT: EINE FRAGE DER PERSPEKTIVE?
Detlev Trapp: Du sprichst Methoden an. Als Leiter eines Bereiches für Projektmanagement: beißt sich Projektmanagement und modernes Change-Management nicht?
Matthias Henkemeier: Einerseits ja. Andererseits ist die Frage, wie man auf das Thema Projektmanagement schaut.
An vielen Stellen im klassischen Projektmanagement steht das magische Dreieck: der ewige Spagat zwischen Kosten, Zeit, Anforderung und natürlich dem gewünschten Ergebnis. In den meisten Fällen haben dieser Dreiklang und Spagat nie dazu geführt, dass man in einem Projekt alle Ziele gleichzeitig erreichen konnte. Meist ging es um ein Trade-Off. Was präferiere ich gerade: die Time-Box, das Fixen des zur Verfügung stehenden Budgets oder die Qualität meines Ergebnisses? Eine gewisse Variabilität und ein aktives Managen der Zielvorstellung war immer Kern des Projektmanagements.
Und Kern des Projektmanagements ist für mich auch, zu versuchen, eine bisher ungelöste oder unlösbare Aufgabe anzugehen und methodische Strukturen zu schaffen, die das ermöglichen. Insofern halte ich Projektmanagement an sich immer noch für ein gutes Werkzeug, um sich mit solchen Aufgaben, auch Change-Aufgaben, auseinanderzusetzen.
An einigen Stellen beobachte ich jedoch den Irrglauben, man könnte mit einem Projektmanagement-Werkzeug, wie z. B. einer Projektplanung, Sicherheit erzeugen, die einen von Anfang an auf einem klaren Weg durch das ganze Projekt führt, ohne diesen Pfad verlassen zu müssen. Die Annahme, man könnte Projektmanagement „top down“ oder komplett durchgeplant haben und müsse sich dann nur dem Plan entlang bewegen - das funktioniert tatsächlich nicht.
Ich glaube, die Werkzeuge an sich sind nach wie vor die richtigen. Sie sollten aber dazu dienen, eine Projektthematik inhaltlich zu durchdringen, um zu verstehen, was man weiß und was man vielleicht noch nicht weiß und wo man mit Annahmen operieren muss, um sich diesen Annahmen auch bewusst zu werden. Schaut man so darauf, dann ist Projektmanagement in Change-Vorhaben immer noch relevant.
Detlev Trapp: Also mit einem anderen Verständnis von Steuerung ist Projektmanagement durchaus ein hilfreicher Ansatz und hat in vielerlei Hinsicht, auch mit Blick auf die verfügbaren Tools und Methoden, eine hohe Relevanz für Veränderungsprozesse?
Matthias Henkemeier: Ja und da darf auch gerne bunt gemixt und neu ausprobiert werden. Es lohnt sich, offen nach links und rechts zu schauen, um sich für die anstehende Herausforderung das richtige Werkzeug oder die passende Methode aus dem Koffer zu ziehen.
Denn Werkzeuge und Methoden sind immer Mittel zum Zweck, um gewisse Ergebnisse zu erreichen und dabei ist unwichtig, ob das aus dem Agilen, dem Scrum, dem klassischen Wasserfall-Mechanismus oder aus was anderem kommt. Wichtig ist, dass das Vorgehen zum Problem passt.
DIE BALANCE ZWISCHEN PASSUNG, KLARHEIT UND FLEXIBILITÄT
Detlev Trapp: Transformationsprozesse, die in den letzten Jahren in den meisten Organisationen eine große Rolle gespielt haben, sind oft vielschichtig, multidimensional und hochkomplex und in vielerlei Hinsicht auch ergebnisoffen. Was braucht es Deiner Erfahrung nach, um einen Prozess auf der einen Seite in einem bestimmten Zielkorridor zu halten und auf der anderen Seite eine ausreichende Ergebnisoffenheit sicherzustellen?
Matthias Henkemeier: Anfangen würde ich beim Team, das die Transformation gestaltet, auf Diversität zu achten und das in alle möglichen Richtungen. Aber auch darauf zu achten, dass alle Ebenen einer Organisation reflektiert werden. Dass Führungskräfte genauso integriert sind wie Mitarbeitende und dass Vertriebsabteilungen wie Marketing und Produktion, aber auch Betriebsrat etc. von Anfang an an den Prozessen beteiligt sind. Die Schwierigkeit besteht sicherlich darin, die unterschiedlichen Perspektiven möglichst moderiert und kontinuierlich zusammenzubringen und abzugleichen. Vielfalt ist auch immer geprägt davon, eine gemeinsame Kommunikationsbasis zu finden, um z. B. Missverständnisse vorzubeugen. Das ist meiner Meinung nach zentral, um für den jeweiligen Transformationsvorgang den Weg zu finden, der genau auf die Organisation passt.
Vielfalt ist auch immer geprägt davon, eine gemeinsame Kommunikationsbasis zu finden, um z. B. Missverständnisse vorzubeugen.
Dabei ist es sinnvoll, sich an Methoden, Systematiken und Frameworks zu bedienen und sich von außen inspirieren zu lassen und zu schauen, wie das auf die Organisation und die Zielerreichung passt. Gleichzeitig ist es wichtig offen zu sein und Ziele zu hinterfragen. Ist die Richtung noch nicht klar, empfehlen sich offene Diskussionen und Sicherheit im Team zu geben, sodass Vorbehalte, Nöte und Ängste offengelegt werden können.
Und wenn es dann wieder um Projektmanagement-Techniken geht: iterativ vorgehen. Zum Beispiel: eine gewissen Time-Box setzen mit einer Art Zielkorridor, wo es hingehen soll. Nach ein paar Schritten dann in Retrospektiven gehen und regelmäßig reflektieren: wie weit sind wir gekommen, was haben wir unterwegs gelernt und wie integrieren wir das wieder in die Gestaltung der nächsten Iteration?
Also Mut haben, sich auf den Weg zu machen und loszulaufen. Nicht am Anfang alles zu Ende diskutieren und auch nicht blind weiterlaufen, sondern zwischendurch anhalten, reflektieren und die Erkenntnisse für die Planung der nächsten Schritte wieder einsetzen.
[Man soll] also Mut haben, sich auf den Weg zu machen und loszulaufen. Nicht am Anfang alles zu Ende diskutieren und auch nicht blind weiterlaufen, sondern zwischendurch anhalten, reflektieren und die Erkenntnisse für die Planung der nächsten Schritte wieder einsetzen.
PILOTIEREN – EIN WEG, UM DIE BESTMÖGLICHE PASSUNG ZU FINDEN
Detlev Trapp: Welche Rolle spielen in diesem Kontext für Dich Prototyping-Ansätze? Konkret die Idee, unfertige Themen in der Organisation zu pilotieren und dadurch Erfahrung zu sammeln. Gehört das grundsätzlich in jeden Veränderungsprozess oder gibt es auch Fälle, bei denen man vorsichtig sein muss?
Matthias Henkemeier: Ich habe noch keinen Prozess erlebt, bei dem das nicht geholfen hätte. Ich denke, es ist nicht das einzige Vorgehen, denn es braucht immer mehrere Perspektiven. Also nicht einfach blind rumexperimentieren, sondern gleich von Anfang an mitdenken. Und überlegen, wie das wäre, einen Ansatz auf das ganz Unternehmen zu skalieren, denn die ganze Sicht gehört immer dazu.
Gleichzeitig tun wir gut daran, Erfahrungen von anderen Unternehmen oder Konzepte und Frameworks für moderne Organisationen konkret auf die eigene Organisation anzuwenden. Denn dabei lernen wir, ob das funktioniert oder nicht.
Ich glaube nicht an einen Blueprint, den man über alle möglichen Organisationen legen kann. Jedes Unternehmen hat seine Besonderheiten, weshalb es wichtig ist, Experimente zuzulassen und den Transformationsteams Raum zu geben, Erfahrungen im eigenen Unternehmensumfeld zu machen. Dabei geht es dann nicht um die eins-zu-eins Übertragung, sondern darum, auf Basis der Learnings zu überlegen, was getan werden muss, um das Thema über die gesamte Organisation zu skalieren.
Jedes Unternehmen hat seine Besonderheiten, weshalb es wichtig ist, Experimente zuzulassen und den Transformationsteams Raum zu geben, Erfahrungen im eigenen Unternehmensumfeld zu machen.
Detlev Trapp: Das heißt, für Dich ist Pilotierung auf der einen Seite eine Möglichkeit zu schauen, inwiefern ist das jeweilige Thema, der Ansatz geeignet, um ihn in der gesamten Organisation auszurollen und zum anderen aber auch, um Erfahrungen zu sammeln, ob das mit der Organisation einher geht und passt?
Matthias Henkemeier: Ja absolut, gerade bei Themen wie z. B. Agilität. Da erlebe ich an einigen Stellen persönliche Diskussionen. Die eine Seite sagt, dass es das unbedingt sein muss, die andere Seite will nicht glauben, dass das funktioniert und fühlt sich damit unwohl. Um bei so einem Thema sinnvoll voranzukommen, hilft eine Pilotierung in einem klar abgegrenzten Bereich und konkret im eigenen Kontext. Um dadurch an beiden Polen wieder eine Sachlichkeit und objektive Bewertung sicherzustellen: wo hilft uns das und wo nicht? Denn in beiden Extremen zu stark zu pauschalisieren, bringt einen Transformationsprozess nie voran.
Detlev Trapp: Gibt es noch den klassischen Change-Prozess oder reden wir heute nicht vielmehr von Transformationsprozessen und von der Notwendigkeit, dass Organisationen sich auf Veränderungen anpassen, indem sie Strukturen aufbauen, die es ihnen erlauben, die Balance zwischen Stabilität und Agilität abzubilden.
CHANGE ALS EINE GRUNDHALTUNG AN BEWEGLICHKEIT
Matthias Henkemeier: Aus der IT-Perspektive, wo wir ein hohes dynamisches Marktumfeld haben, mit kurzen Entwicklungszyklen und großen Technologiesprüngen, die unsere Umwelt in wenigen Jahren radikal verändern können und auch unsere Geschäftsmodelle immer wieder in Frage stellen, ist aus meiner Sicht unerlässlich, dass wir Wandel als kontinuierlichen Baustein unserer DNA verstehen und nicht als einmaliges Change-Vorhaben. Es geht darum, aus einer Grundhaltung heraus immer in Bewegung zu bleiben. Diese zu initiieren und die Entwicklungsstufen und -strukturen in einer Organisation zu erreichen, ist ein größeres Vorhaben und sollte auf ein Ziel ausgerichtet sein: am Ende Strukturen zu haben, die deutlich flexibler sind und eine Kultur und Grundhaltungen im Unternehmen zu haben, die ein anderes Level an Beweglichkeit etabliert haben. Das ermöglicht kontinuierliche Bewegung und nicht nur vereinzelte Change-Projekte am Geschäftsmodell.
Tatsächlich ist der erste Schritt meiner Meinung nach aber einer, den man noch in so einer Art orchestriertem Change-Projekt oder einem Change-Transformations-Modus angehen muss.