Wie treffe ich gute Entscheidungen?

CidPodcast zum Nachlesen: Reihe Concepts, #Folge 01

Unser Alltag ist voller Entscheidungen, die wir ständig treffen. Doch wie gelingt es, immer die richtige Wahl zu treffen? Dieser Frage gehen Anne Vier, Beraterin bei cidpartners, und Theresa Brambach, ehemalige Beraterin, nach. Sie verfügen beide über einen psychologischen Hintergrund. Eine gute Voraussetzung, um über das Thema Entscheidungen ein Expertengespräch zu führen.

WIE VIELE ENTSCHEIDUNGEN TREFFEN WIR TÄGLICH?

Theresa: Wir entscheiden so viele Dinge jeden Tag und es geht direkt beim Aufwachen los: Direkt aufstehen oder noch ein paar Minuten liegenbleiben? Pullover oder Shirt? Zum Frühstück Toast oder Porridge? Mit dem Auto, Rad oder mit der Bahn zur Arbeit? Diese Liste lässt sich lange fortsetzen. Was meinst Du, Anne: Wie viele Entscheidungen treffen wir täglich?

Anne: Spannende Frage. Vielleicht um die 8.000?

Theresa: Es sind tatsächlich noch mehr: Um die 20.000 Entscheidungen jeden Tag. Aufgrund der Fülle an Entscheidungen liegt es nahe, dass wir die meisten Entscheidungen blitzschnell und intuitiv treffen. Und das ist auch gut so, denn bei der großen Anzahl können wir nicht lange über jede Auswahl nachdenken.

Natürlich gibt es auch komplexere Entscheidungen, zum Beispiel die Berufswahl oder ein Jobwechsel. Solche Themen benötigen etwas Bedenkzeit. Auch in der Rolle als Führungskraft ist es eine wesentliche Aufgabe, Dinge zu entscheiden. Ob es um die beste Teamzusammensetzung geht, um die strategische Ausrichtung in den kommenden Jahren, die Entwicklung neuer Produkte oder eine Unternehmensfusion – für solche wichtigen Fragen nehme ich mir in der Regel etwas mehr Zeit und beschäftige mich ausführlich damit, bevor ich etwas entscheide.

Zu der Fülle an Entscheidungen kommt erschwerend hinzu, dass unser Alltag immer mehr an Dynamik und Komplexität gewinnt. Stichwort: VUCA-Welt – wie meistere ich unternehmerische Herausforderungen und treffe gute Entscheidungen? Wie werde ich agilen Modellen und flachen Hierarchien gerecht?

Knotenpunkte für Entscheidungen verteilen sich in heutigen Arbeitsstrukturen immer mehr in der Organisation. Das bedeutet, es entscheiden nicht mehr klassisch an der Spitze ein paar wenige, sondern es sind viele Personen. Dazu braucht es zum einen mehr fitte Entscheider und an der Spitze mehr Führungskräfte, die auch Verantwortung abgeben können. Das gilt für Teilentscheidungen, die den Kurs festlegen und das gilt für die nötige Auswahl aus einer Fülle von Möglichkeiten. Es ist also eine sehr wichtige und zentrale Kompetenz, gute und nachhaltige Entscheidung zu treffen – für unsere Organisation und für uns selbst.

WIE FUNKTIONIERT DAS MIT DEN ENTSCHEIDUNGEN?

Anne: Dann schauen wir doch mal genauer hin: Wie funktioniert das mit

Theresa: Entscheidungen sind immer das Ergebnis eines dahinterliegenden Prozesses. Das heißt, die Art, wie wir entscheiden ist mindestens genauso wichtig wie die Entscheidung selbst.

Machen wir an dieser Stelle einen kurzen Exkurs zum menschlichen Gehirn. Das Gehirn verfügt über zwei Systeme, um Entscheidung zu treffen. Das erste System sitzt ganz vorne im Gehirn, das ist der präfrontale Cortex. Er ist zuständig für Verstand, Ratio, Logik, also für die bewusste Verarbeitung von Informationen. Das zweite System ist weiter unten im Gehirn angesiedelt, das limbische System.

Es ist zuständig für die emotionale Informationsverarbeitung, wenn wir sprichwörtlich etwas „aus dem Bauch heraus“ entscheiden. Und aufgrund der Fülle an Entscheidungen, die wir täglich treffen, läuft der größere Teil des Entscheidungsprozesses unbewusst und automatisch ab, wie eine Art Autopilot.

Für die beiden Systeme gibt es je nach Fachgebiet verschiedene Bezeichnungen. In der Psychologie nennen wir das Zusammenspiel von Verstand und Emotion die Zwei-Prozess-Theorie. Andere bezeichnen es als System 1 und 2 oder analytische und nicht-analytische Entscheidung.

WIE GENAU SIEHT DENN DER ENTSCHEIDUNGSPROZESS AUS, WENN WIR UNSEREN VERSTAND EINSETZEN?

Anne: Wie genau sieht denn der Entscheidungsprozess aus, wenn wir unseren Verstand einsetzen?

Theresa: Nehmen wir mal ein Beispiel: den Kauf einer Kaffeemaschine. Da gibt es eine Vielzahl an Anbietern, Verfahren, Bohnensorten und so weiter. Der erste Schritt wäre, sich die unterschiedlichen Verfahren anzusehen, wie der Kaffee zubereitet wird: Filterkaffee, Pad-Maschine oder Siebträger, um nur eine Auswahl zu nennen. Im zweiten Schritt kann ich die Wahlmöglichkeiten und die entsprechenden Konsequenzen bewerten, denn sie unterscheiden sich je nach Verfahren und Hersteller im Preis, in der Größe, Farbe und Qualität etc. Anhand dessen kann ich die Aspekte auswählen, die mir wichtig sind und nur diese bei der Entscheidung berücksichtigen – zum Beispiel ein Preislimit oder eine bestimmte Maximalgröße des Geräts. Oder ich will eine unkomplizierte Zubereitung per Knopfdruck. Und so stechen dann bestimmte Kriterien oder sogar nur ein einziges Kriterium alle anderen Alternativen aus. Auf dieser Basis komme ich zu einer Entscheidung und kaufe ein entsprechendes Modell. Das ist dann ein sehr bewusster Prozess, der sehr langsam ist, weil ich mich im Vorfeld umfassend informiere, analysiere und bewerte und am Ende gibt es eine richtige Entscheidung.

WIE SIEHT ES MIT ENTSCHEIDUNGEN BEI KOMPLEXEN FRAGEN AUS?

Anne: OK, bei einer Kaffeemaschine finde ich das nachvollziehbar und überschaubar. Wie sieht es mit komplexen Fragen wie Personaleinstellungen oder Positionswechsel aus? Da ist es doch viel schwieriger alle Konsequenzen zu beurteilen und abzuwägen. Entscheide ich immer so bewusst, immer rein rational?

Theresa: Nein, das zeigt auch die Forschung zur Entscheidungspsychologie: Menschen verhalten sich keineswegs ausschließlich im Sinne einer Kosten-Nutzen Erwägungen rein rational. Ein typisches Beispiel dazu ist ein Mensch, der entscheidet für eine gewisse Zeit auf Zucker zu verzichten und dann doch beim Schokobrötchen nicht widerstehen kann.

Wir kennen bei vielen Entscheidungen gar nicht alle Alternativen oder sind uns des maximalen Nutzens nicht ständig bewusst.

Nehmen wir als Beispiel die Einstellung von neuen Mitarbeiter:innen. Über Unterlagen und in Gesprächen lassen sich nur bestimmte Aspekte ermitteln und ein Mensch lässt sich nicht bis in die letzte Facette analysieren, schon gar nicht mit Blick auf die Konsequenzen, die das Handeln haben könnte. Das lässt sich nicht alles vorhersehen. Das haben wir auch in der Coronapandemie gemerkt: Die hat so manche unternehmerische Strategie hinfällig gemacht.

Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt

WIE LÄUFT DER ENTSCHEIDUNGSPROZESS BEI EINER BAUCHENTSCHEIDUNG?

Anne: Und wie läuft der Entscheidungsprozess bei einer Bauchentscheidung ab?

Theresa: Ein solcher Prozess läuft viel stärker unbewusst ab, aus einem Impuls heraus. Vielleicht stehe ich gerade unter der Dusche und habe plötzlich den richtigen Entschluss gefasst. Ich kann es oft gar nicht so genau begründen, weil es ein intuitives Bauchgefühl war, das mich geleitet hat.

An der Stelle passt ein Zitat des französischen Mathematikers und Philosophen Blaise Pascal: „Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt.“ Das drückt sehr gut aus, dass es im 2. System Dinge gibt, die wir nicht immer so klar benennen können und sie sind ebenso wichtig wie der Verstand, um gute Entscheidungen zu treffen.

Wir alle haben schon Situationen erlebt, in denen rein rational alles gegen eine bestimmte Entscheidung gesprochen hat und trotzdem haben wir uns dafür entschieden.

Ein Beispiel dazu: Stellt Euch eine Teamleiterin vor, die schon länger im Unternehmen arbeitet, ihr Team gut kennt und seit der Coronapandemie viele Teammeetings virtuell durchführt. Die virtuellen Meetings laufen aktuell schneller, sind gut strukturiert und keiner muss weit fahren. Es spricht also viel dafür, dieses Meeting weiter so abzuhalten. Ihr Bauchgefühl gibt ihr hingegen ein anderes Signal („Mach mal lieber ein Teammeeting in Präsenz“), deshalb setzt sie stattdessen ein Präsenzmeeting an. Im Meeting stellt sich dann heraus, dass das die richtige Entscheidung war, weil so Konflikte zur Sprache kamen, die so gut geklärt werden konnten – der Impuls war also genau richtig, auch wenn die Fakten und Ratio dagegensprachen.

Anne: Dazu fällt mir ein Beispiel aus dem Sport ein. Eine eine psychologische Studie konnte zeigen, dass Profi-Golfspieler:innen am besten spielen, wenn sie keine Zeit haben über den Schlag nachzudenken. Dazu passt das Zitat der Fußballlegende Gerd Müller, der sagte: „Wenn's denkst, ist‘s schon zu spät.“ Anfänger:innen im Golfsport taten dagegen besser daran, erst bewusst nachzudenken. Das kann daran liegen, dass erfahrene Personen im Vergleich zu unerfahrenen auf abgespeicherte Erfahrungswerte, auf eine Art unbewussten Wissensspeicher zurückgreifen können. Deshalb können sie intuitiv eine gute Wahl treffen, wie auch beim obigen Beispiel der Teamleiterin.

WAS GENAU IST INTUITION?

Anne: Was genau ist denn Intuition?

Theresa: Da hilft uns Gerd Gigerenzer, ein deutscher Psychologe & Entscheidungsexperte. Er sagt, Intuition ist wie eine unbewusste Intelligenz, die auf jahrelanger Erfahrung beruht. Wer solchen Impulsen nachgeht, schöpft aus einer Art Toolbox, die sehr effizient und nützlich sein kann, um schnell Entscheidungen zu treffen. Das hilft Manager:innen ebenso wie Politiker:innen. Beide Zielgruppen müssen oft Dinge entscheiden, obwohl es Ungewissheiten gibt und Vorhersagen nur begrenzt möglich sind. Da reichen dann Daten und Algorithmen nicht, da braucht es eben auch Intuition.

Anne: Dass man diese intuitiven Entscheidungen nicht so gut mit Worten erklären kann, ist vielleicht ein Grund, warum sie im Organisationskontext nicht überall so akzeptiert sind wie rationale Entschlüsse. Wenn die Intuition aber so wertvoll ist, warum kommt sie nicht öfter zum Einsatz?

Theresa: Entscheidend dafür ist tatsächlich die Kultur im Unternehmen und im Umfeld, in dem ich tätig bin. Gerd Gigerenzer hat dazu eine große Studie mit Führungskräften großer Konzerne gemacht und sie gefragt, wie viele ihrer professionellen Entscheidungen an einem Tag eine Bauchentscheidung gewesen seien und es war tatsächlich jede zweite Entscheidung.

Problematisch wird es, wenn das Unternehmensumfeld sehr streng mit Fehlern umgeht, diese nicht toleriert und wenig Vertrauen herrscht. Wenn Führungskräfte in der Folge vorsichtiger sind und keine „falsche“ Entscheidung treffen bzw. dafür verantwortlich sein möchten, dann werden intuitive Entscheidungen eher seltener getroffen, weil sie vermeintlich nicht so gut begründbar sind.

Wenn also eine defensive Entscheidungskultur herrscht und Intuition kein Platz hat, kann das richtig problematisch werden und ein Unternehmen große Summen kosten. Das macht eine Fehlerkultur, bei der aus Fehlern gelernt wird, unmöglich und hemmt auch die Risikobereitschaft und Innovationskraft.

KANN ICH MICH DENN IMMER AUF MEINE INTUITION VERLASSEN?

Anne: Kann ich mich denn immer auf meine Intuition verlassen oder kann die mich mal in die Irre führen?

Theresa: Tatsächlich sind es nicht immer die Gefühle oder die Intuition, die uns in unseren Entscheidungen lenken. Hinter vielen vermeintlichen Bauchentscheidung stecken ganz simple Faustregeln, die unser Leben stark vereinfachen, die sogenannten Heuristiken. Das sind mentale Strategien, die uns helfen komplizierte Entscheidungen trotz begrenztem Wissen, begrenzter Zeit und Ressourcen zu treffen. Das ist oft hilfreich, kann aber auch in komplexen Situationen zu voreiligen und systematisch verzerrten Schlüssen führen. Diese Heuristiken laufen in der Regel unbewusst und automatisch ab.

Ein Beispiel dazu: Ich würde Dich fragen, welche der Städte größer ist: Detroit oder Fresno. Die meisten Menschen entscheiden sich für die bekanntere Stadt, das ist für viele Detroit. Fresno ist aber tatsächlich größer. Das ist eine „Verfügbarkeitsheuristik“, das heißt, ich entscheide mich für die vertrautere Option, die im Gehirn präsenter ist.

Ein weiteres Beispiel für eine Heuristik ist der „sunk cost effect“. Stell Dir vor, Du bist Scrum Master in einem größeren Unternehmen, und sollst mehrere agile Entwicklungsteams unter einen Hut bekommen. Du hast Dich mit unterschiedlichen Skalierungs-Frameworks auseinandergesetzt, favorisiert ein bestimmtes Modell und möchtest es im Unternehmen einführen. Dazu hast Du Dich zu einem Präsenztraining angemeldet, die Anmeldegebühren von 3.000 € sind schon überwiesen und nicht erstattungsfähig. Dann kommt Corona und das Training verschiebt sich immer weiter.

In der Zwischenzeit besprichst Du Deine Pläne mit den Kolleg:innen und stellst fest, dass das Modell gar keinen Sinn macht. Monate später soll dann die Fortbildung stattfinden. Die meisten Menschen würden die Schulung besuchen. Der Grund ist eine „Verlustaversion“: Niemand möchte die bereits investierte Summe ohne Gegenleistung aufgeben, dabei wäre es viel sinnvoller und effizienter an dieser Stelle den bisherigen Plan aufzugeben.

WANN ENTSCHEIDE ICH MICH DENN WIE AM BESTEN?

Anne: Wann entscheide ich mich denn wie am besten in unserer komplexen VUCA-Welt?

Theresa: Tatsächlich entwickeln Menschen bestimmte Präferenzen, es gibt also wirklich eher Kopf-Typen und Bauch-Typen. Allerdings brauchen wir für gute Entscheidungen immer beide Systeme, je nach Situation, Erfahrungslevel und Komplexität.

Anne: Ich nehme mit, dass Bauchentscheidungen besonders zielführend sind, wenn ich über einen großen Erfahrungsschatz verfüge. Wenn ich eher weniger Erfahrungen habe, kann ich natürlich auch intuitiv entscheiden, vielleicht lohnt es sich an der ein oder anderen Stelle dann aber, mir ein bisschen Zeit zu nehmen.